Lehman Brothers-Probleme waren offensichtlich – auch für die Credit Suisse

Seit einem Artikel im «Sonntag» vom vergangenen Sonntag wissen wir, dass die Finanzmarktaufsicht (Finma) ihren Bericht zum Umgang der Credit Suisse mit dem Lehman-Brothers-Konkurs massiv geschönt hat. Die Diskrepanzen zwischen einem internen Bericht aus dem Jahr 2009 und dem öffentlichen Bericht aus dem Jahr 2010 sind so gross, dass sich viele dringend zu beantwortende Fragen stellen.

Eine der zentralsten: Hätte die Credit Suisse merken müssen, wie schlecht es um Lehman Brothers steht? Hätte sie ihr Verhalten entsprechend anpassen müssen?

Wichtig: Credit Spreads

Wer sich über den Gesundheitszustand eines Unternehmens informieren will, zieht verschiedene Indikatoren zurate. Einerseits sind die Einschätzungen von Ratingagenturen wie Moody’s oder Standard & Poor’s zu beachten. Andererseits werden die Prämien für Kreditausfallversicherungen, sogenannte Credit Spreads, beigezogen. Laut dem Schweizerischen Verband für strukturierte Produkte helfen Credit Spreads dem Anleger, …

die Bonität der jeweiligen Emittentin beziehungsweise Sicherungsgebers einzuschätzen. (…) Dabei stellen die angegebenen Basispunkte die hypothetische Versicherungsprämie dar, die der Anleger als Versicherungsnehmer zu entrichten hätte, um sich gegen einen Ausfall der Strukturierten Produkte der jeweiligen Emittentin abzusichern. Die Credit Spreads können noch genauer Aufschluss über die Bonität einer Emittentin geben. Ein geringer Spread spricht grundsätzlich für eine hohe Bonität und umgekehrt.

Finanznachrichten.de schreibt zum Thema:

Gerade in Krisenzeiten sind Credit Spreads ein sinnvoller Indikator, um die Bonität bestehender oder potentieller Partner beurteilen zu können. Ratings alleine haben die Schwäche, dass nur die historischen Ausfallwahrscheinlichkeiten bei der Ermittlung eine wichtige Rolle spielen, was unter normalen Marktbedingungen durchaus sinnvoll ist. Credit Spreads hingegen spiegeln die aktuelle Einschätzung des Interbanken-Marktes über das Ausfallrisiko eines Emittenten wider und ergänzen so die Ratings um ein dynamisches Element.

Mit anderen Worten: Wer wissen will, wie es um ein Unternehmen steht, stützt sich mindestens so stark auf Credit Spreads wie auf Ratingagenturen.

Offensichtliche Probleme

Wie stand es also um die Credit Spreads von Lehman Brothers in den Monaten vor dem Konkurs? Hätte die CS die Probleme der US-Investmentbank bemerken müssen?

Eine kurze Recherche zeigt: Die Lehman-Probleme waren mehr als offensichtlich. Bereits am 31. Juli 2007 titelte bloomberg.com «Bear, Lehman, Merrill trade as junk, derivatives show» und machte auf das deutliche Missverhältnis zwischen traditionellem Rating und dem Rating auf Basis der Credit Spreads aufmerksam. Im August 2007 war Lehman dann bereits gezwungen, das Hypothekargeschäft zu schliessen (1). Weitere schlechte Nachrichten folgten, die Credit Spreads kletterten höher und höher. In den Medien wurde in den letzten Monaten, Wochen und Tagen vor dem Konkurs (15. September 2008) ausführlich über Bonitätsschwierigkeiten und einen möglichen Konkurs berichtet (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7).

Die Probleme bei Lehman Brothers waren also alles andere als ein Geheimnis. Auch in der Schweiz wusste man Bescheid. So versicherte zum Beispiel die Berner Kantonalbank ihre Kunden bereits im Frühjahr 2008 gegen einen möglichen Ausfall von Lehman Brothers (1).

Das alles interessierte die CS offenbar nicht. Obwohl die Signale überall auf Rot standen, verkaufte sie Kleinanlegern weiterhin aggressiv Lehman-Papiere mit 100%-Kapitalschutz. Wie dreist die CS versucht, uns für dumm zu verkaufen, illustriert ein Auszug aus einem Interview, dass die «NZZ am Sonntag» im Januar 2009 mit Walter Berchtold, CS-Private-Banking-Chef, führte. Darin lesen wir:

Hat Credit Suisse die Lehman-Produkte nicht noch zu einem Zeitpunkt verkauft, in dem die Kreditversicherungsprämien, die sogenannten Credit Spreads, das sehr hohe Risiko bereits angezeigt hatten?
Wir haben eine offene Produkteplattform und fragen immer drei bis vier Parteien inklusive unsere eigenen Stellen um eine Offerte an. Bis der Credit Spread auseinandergegangen ist, war Lehman einer der besten Anbieter, der zu sehr konkurrenzfähigen Preisen einen guten Service anbot. Als dies nicht mehr der Fall war, haben wir keine Neugeschäfte mit dieser Bank mehr getätigt.

Wann war das?
Grössenordnung ab März 2008.

Heute wissen wir: Walter Berchtold lügt an dieser Stelle wie gedruckt. Die vom «Sonntag» veröffentlichte Grafik bezüglich Vermögensverwaltungskunden zeigt, dass die CS ihre Lehman-Aktivitäten im März 2008 nicht wie von Berchtold angegeben eingestellt, sondern forciert hat.

Finma: Unterschlagung von Informationen

Bleibt die Frage, wie die Finma in ihrem offiziellen Bericht allen Ernstes schreiben konnte:

«Die Lehman-Gruppe verfügte bis zum Zeitpunkt der Insolvenzerklärung mit einem Kreditrating von A2 über eine gute Bonität.»

Das ist, mit Verlaub, mindestens eine massive Unterschlagung von Informationen, wenn nicht sogar eine Lüge. Umso krasser ist die Aussage, wenn man dank «Sonntag» weiss, dass die Finma eigentlich erkannt hatte, was alle erkannt hatten: Nämlich dass die Credit Spreads für Lehman höchst alarmierend waren und von den meisten Banken wahrgenommen wurden. «Sonntag» schreibt:

Eklatant ist zudem die unterschiedliche Einschätzung zur Bonität von Lehman Brothers. Im früheren Bericht geht die Finma ausführlich darauf ein und beschreibt, dass die Prämien für Kreditausfallversicherungen (CDS) bei der Selektion der Produkte «angebracht» seien. Sie verwies zudem darauf, dass etliche Banken durch den massiven Anstieg der Lehman-Ausfallprämien bereits frühzeitig den Vertrieb einstellten (J.P. Morgan bereits im September 2007).

Man darf mit Spannung darauf warten, wie es weitergeht. Eine Wiederaufnahme der Lehman-Untersuchung bezüglich CS wäre das Mindeste, was passieren müsste. Zudem müsste die Weisswaschaktion der Finma personelle Konsequenzen haben.

PS: Weil die UBS (die im internen Finma-Bericht im Vergleich mit der CS sehr gut wegkommt) ihre Kundenberater nicht über die Bedeutung und möglichen Konsequenzen der horrenden Credit Spreads auf Lehman unterrichtet hatte, wurde sie im April 2011 von der US-amerikanischen Finanzmarktregulationsbehörde Finra im Fall Lehman zu Wiedergutmachungszahlungen und einer Busse verurteilt (1, 2). Ob die Finma das wohl schon mitgekriegt hat …?

Nachtrag: Offenbar kann man die Aussage von Walter Berchtold auch anders verstehen. Man kann verstehen, dass Berchtold sagte, die CS selbst habe ab März 2008 keine Neugeschäfte mit Lehman mehr getätigt. Was den Fall noch schlimmer machen würde, denn es würde bedeuten, dass die CS weiterhin Schrottpapiere an ihre Kunden verkaufte, als sie selbst den Handel schon eingestellt hatte.

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