Kampagne gegen Geri Müller:
ein Fall für die Justiz?

Die Diskussionen rund um die Selfie-Affäre von Geri Müller gewinnen wieder an Substanz. «NZZ» und «Rundschau» haben Auszüge aus dem Handy-Protokoll von Geri Müllers Chat-Partnerin veröffentlicht, «Watson» hat Details aus den Einvernahme-Protokollen der Chat-Partnerin bei der Kantonspolizei Bern publik gemacht. Das erlaubt, grob einzuschätzen, welche Rolle die beiden Helfer der Chat-Partnerin – PR-Berater Sacha Wigdorovits und Rechtsanwalt Josef Bollag – gespielt haben und wie sich die Situation für sie aus straf- und zivilrechtlicher Sicht präsentiert.

Die Analyse der Handy- und Einvernahme-Protokolle führt bei «NZZ», «Rundschau» und «Watson» zu ganz unterschiedlichen Folgerungen. Während «Rundschau» und «Watson» hinter dem Medienrummel eher Drahtzieher sehen (Wigdorovits und Bollag), kommt die «NZZ» zum gegenteiligen Schluss. In erster Linie habe die Chat-Partnerin die Veröffentlichung der Daten forciert.

Leider ist es, ohne selbst Einblick in die Protokolle zu erhalten, nicht möglich, zu beurteilen, wo die «Wahrheit» liegt. Aber: So unterschiedlich die Interpretationen auch sein mögen, selbst mittels der Chat-Auszüge, die die «NZZ» zitiert, wird klar, dass Wigdorovits mindestens einen sehr aktiven Part gespielt hat. Er hat die Kontakte zu «Blick» und «Schweiz am Sonntag» vermittelt, er hat «Schweiz am Sonntag»-Chefredaktor Patrik Müller den Chatverkehr mindestens gezeigt. Es ist deshalb schlicht nicht nachvollziehbar, wie Marcel Gyr in der «NZZ» schreiben kann:

Es sind keine Hinweise zu finden, dass sie [Geri Müllers Chat-Partnerin] von Drittpersonen über Gebühr gedrängt, ferngesteuert oder für deren Interessen missbraucht worden wäre.

Und:

Die zeitweise Vorstellung, hinter der medienwirksamen Enthüllung steckten Drahtzieher, die Geri Müllers Chat-Partnerin für ihre Interessen eingesetzt hätten, wird mit den vorliegenden Daten nicht bestätigt.

Klar: Möglicherweise wäre Geri Müllers Chat-Partnerin auch ohne die Unterstützung von Bollag und Wigdorovits an die Presse gelangt. Nur: Das tut wenig zur Sache. Interessant ist hingegen die Frage, ob es aus straf- und zivilrechtlicher Sicht überhaupt eine Rolle spielt, was Bollag und Wigdorovits tatsächlich getan haben.

Strafrechtliche Aspekte

Sicher ist: Allein die Vermittlung eines Kontakts ist nach StGB ebenso wenig strafbar wie die Weitergabe von SMS-Texten oder Screenshots. Strafbar ist, Gespräche heimlich aufzunehmen oder Gespräche weiterzuleiten, die ohne das Wissen Beteiligter aufgenommen worden sind (Art. 179ter StGB). Laut «NZZ» war sich Wigdorovits der Gefahr heimlich aufgenommener Gespräche bewusst, er warnte Müllers Chat-Partnerin offenbar ausdrücklich davor. Es ist also kaum anzunehmen, dass sich Wigdorovits oder Bollag dieser Straftat schuldig gemacht haben.

Abhängig davon, was die Chat-Partnerin mit ihrer Veröffentlichungs-Drohung bei Geri Müller zu erreichen versuchte, könnte Widgorovits und Bollag auch Gehilfenschaft zu Nötigung (Art. 181 StGB) vorgeworfen werden. Alles deutet aber darauf hin, dass weder Wigdorovits noch Bollag auf politische (oder andere) Zugeständnisse von Geri Müller spekulierten, sondern schlicht an einer Veröffentlichung der Daten interessiert waren.

Fazit: Die Erfolgsaussichten für eine strafrechtliche Verurteilung von Wigdorovits oder Bollag dürften gering sein.

Zivilrechtliche Aspekte

Zivilrechtlich sieht die Situation anders aus, der heikle Bereich ist schneller erreicht. Der Persönlichkeitsschutz ist zwar sehr offen formuliert. Aber: Was als Privatsphäre einzuschätzen ist, darf im Prinzip nicht öffentlich gemacht werden, ausser es liegen triftige Gründe vor (Art. 28 ZGB). Dies scheint im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Hier bestehen also für Geri Müller durchaus Chancen, mit einer Klage erfolgreich zu sein. Der Persönlichkeitsschutz (Art. 28 ff. ZGB) bietet der verletzten Person mehrere Klagemöglichkeiten, insbesondere kann auf Feststellung der Persönlichkeitsverletzung inkl. Urteilspublikation (Art. 28a Abs. 1 Ziff. 3 und Abs. 2 ZGB) auf Schadenersatz und auf Genugtuung geklagt werden (Art. 28a Abs. 3 ZGB).

Das Problem bezüglich Schadenersatz: In diesem Fall muss Geri Müller den finanziellen Schaden beziffern und beweisen können. Beides dürfte schwierig werden. Es dürfte auch bei einer allfälligen Abwahl bei den nächsten Wahlen in Baden schwierig sein, schlüssig nachzuweisen, dass die Abwahl auf die Selfie-Affäre zurückzuführen ist. Mögliche Ausnahme: Erfolgt die Abwahl ganz knapp, wäre es naheliegend, dass die Veröffentlichung der Affäre den Unterschied gemacht hat. Dann könnte möglicherweise die Einkommensdifferenz zum vorherigen Salär als Stadtammann geltend gemacht werden.

Bessere Chancen auf Erfolg bringt wohl eine Klage auf Genugtuung, das heisst, einen Ausgleich (sprich Schmerzensgeld) für die erlittene seelische Unbill zu verlangen. In diesem Fall muss keine exakte Vermögenseinbusse nachgewiesen werden.

Fazit: Zivilrechtlich sind die Aussichten deutlich besser. Für Geri Müller kann es – abgesehen von finanziellen Überlegungen – im Hinblick auf sein weiteres Berufsleben durchaus sinnvoll sein, die Persönlichkeitsverletzung gerichtlich feststellen zu lassen. Ganz abgesehen davon, dass eine Verurteilung von Widgorovits und/oder Bollag quasi ein Exempel statuieren würde.

Konzentration auf Patrik Müller!

Meines Erachtens haben Bollag und Wigdorovits einen viel aktiveren Part gespielt, als sie es hätten tun dürfen. Aber: Politische Gegner werden immer wieder versuchen, sich gegenseitig zu desavouieren. Bollag und Wigdorovits haben also nichts gemacht, das der Eine oder Andere in ähnlicher Situation nicht auch versucht hätte.

Ob eine Diffamierungsaktion zum Erfolg führt, steht und fällt häufig mit dem Verhalten der Presse. Und damit wären wir, einmal mehr, bei Patrik Müller angelangt. Der Chefredaktor der «Schweiz am Sonntag» spielt die bedenklichste Rolle im ganzen Theater. Er war offensichtlich nur allzu Willens, den unbequemen Geri Müller zu demontieren, notabene ohne irgendetwas Relevantes in den Händen zu halten. «Weltwoche»-Chef Roger Köppel hat es auf den Punkt gebracht:

Die Schwere der Persönlichkeitsverletzung, die Brutalität, mit der hier eine Intimsphäre pulverisiert wurde, steht in keinem vernünftigen Verhältnis zum auf­gedeckten Missstand. Es ist ja nicht so, dass durch den SMS-Chat verbotene Machenschaften, Straftaten oder politisch bedeutsame Erkenntnisse ans Licht gekommen wären.

Machen wir uns nichts vor: Patrik Müllers Motive waren politischer Natur und/oder Geltungsdrang. Zudem hat er journalistische Grundsätze missachtet (wie schon dargelegt). Und: Sein erster Artikel über Geri Müller war ein Schnellschuss, wie er nicht schneller hätte sein können: Am 14. August erfuhr er von Geri Müllers Affäre, am 17. August stand die Geschichte im Blatt – ein Vorgehen, das bei einem so heiklen Thema durch nichts zu rechtfertigen ist.

Mit anderen Worten: Eigentlich ist Patrik Müller der Mann, gegen den vorgegangen werden sollte. Zugegeben: ein heikles Thema. Denn wenn Medienschaffende in den Fokus von Gerichtsverfahren rücken, geht es nicht einfach nur um den Disput zwischen zwei Individuen. Im vorliegenden Fall geht es einerseits um Pressefreiheit, andererseits um den Schutz der Privatsphäre – beides wichtige Rechtsgüter einer funktionierenden Demokratie. Roger Köppel hat dazu festgehalten:

Die persönlichen Freiheitsrechte sind Pfeiler unserer Kultur und unserer Demokratie. Ohne Privatheit gibt es keine Freiheit. Das wussten die Diktatoren in totalitären Staaten, die den freien, unabhängigen Bürger im kommunistischen Kollektiv oder in der Volksgemeinschaft auflösten. Wo die Grenzen der Intimsphäre leichtfertig gesprengt werden können, gedeihen Bespitzelung und Denunziantentum.

Patrik Müller hat die Grenzen von Geri Müllers Intimsphäre gesprengt. Daraus einen straf- oder zivilrechtlich relevanten Vorwurf zu machen, ist nicht ausgeschlossen, aber schwierig. Denn grundsätzlich gilt: Die strafbare Persönlichkeitsverletzung wird durch die Person begangen, die die Daten weitergibt, nicht durch diejenige, die die Daten veröffentlicht. Das gilt umso mehr, als Patrik Müller nur Fakten veröffentlicht hat – irrelevante Fakten zwar, aber Fakten.

Sollte also auf straf- oder zivilrechtlichem Weg gegen Patrik Müller nichts zu erreichen sein, so gilt es, wenigstens den Weg über den Presserat zu versuchen. Klar: Der Presserat kann bestenfalls eine Rüge aussprechen. Aber immerhin: Eine Rüge ist besser als keine Rüge. Und eine gut begründete Rüge des Presserats könnte für gerichtliche Schritte gegen Wigdorovits, Bollag und auch Patrik Müller von Vorteil sein, sollte es doch dazu kommen.

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