Die Finma wäscht weisser – offene
Fragen zum Lehman Brothers-Bericht

Die Aussagen vieler Credit Suisse-Kunden, die durch den Konkurs der US-Investmentbank Lehman Brothers (am 15. September 2008) Geld verloren haben, gleichen sich in einem wesentlichen Punkt: Die CS habe so aggressiv für die Lehman-Anlagen geworben, dass man schliesslich in den Kauf der Papiere eingewilligt habe.

Der Verdacht, die CS habe in einer Zeit, in der andere Banken aufgrund der offensichtlichen Probleme bei Lehman ihre Aktivitäten reduziert oder eingestellt (bzw. das Risiko versichert) haben, forciert Lehman-Papiere verkauft, stand deshalb schon länger im Raum. Und auch wenn der offizielle Bericht der Finanzmarktaufsicht (Finma) vom März 2010 die CS von jeder Schuld und jedem gröberen Fehlverhalten freigesprochen hat – das schlechte Gefühl ist geblieben.

Seit einem Artikel im «Sonntag» vom letzten Sonntag wissen wir: Das schlechte Gefühl hat uns nicht getäuscht. Ein interner Finma-Bericht (offenbar zuhanden des Verwaltungsrats) vom März 2009 zeigt, dass der öffentliche Finma-Bericht massiv geschönt worden ist und bei der CS «Fehler» gemacht wurden.

Grosse Diskrepanzen

Die Diskrepanzen zwischen den Berichten sind vielsagend. Gemäss «Sonntag» zeigt der interne Bericht,

  • dass rund doppelt so viel Kundengeld (rund 1321 Millionen statt rund 600 Millionen) verloren ging, wie von der CS und wie im offiziellen Finma-Bericht angegeben wird.
  • dass es aufgrund der sogenannten Credit Spreads (CDS), das heisst, der steigenden Kosten für Kreditausfallversicherungen auf Lehman, schon länger klar war, dass es um Lehman schlecht steht. Im offiziellen Bericht steht nur noch: «Die Lehman-Gruppe verfügte bis zum Zeitpunkt der Insolvenzerklärung mit einem Kreditrating von A2 über eine gute Bonität.»
  • dass die CS tatsächlich zwischen Mai und August 2008 die Vermittlung von Lehman-Papieren stark gesteigert hat. Die entsprechende Grafik bezüglich Vermögensverwaltungskunden ist im offiziellen Bericht nicht mehr zu finden. Stattdessen schreibt die Finma: «(…) noch hat sie (CS) Produkte der Lehman-Gruppe im Jahr 2008, insbesondere unmittelbar vor dem Konkurs der Firma, ihren Kunden forciert verkauft oder aus eigenen Beständen in Kundendepots verschoben.»
  • dass die CS (im Unterschied zur UBS) Verkaufsinformationen verwendete, auf denen prominent das CS-Logo prangerte. Im Fachjargon wird dieses «Verschleiern» des eigentlichen Emittenten «White Labeling» genannt. Laut «Sonntag» steht im internen Bericht: «Es stellt sich die Frage, ob Kunden ohne grosse Geschäftserfahrung vorliegend nicht in guten Treuen davon ausgehen konnten, dass es sich bei den erworbenen Produkten der Lehman um CS-Produkte handelte.» Im öffentlichen Bericht heisst es dann: «In allen Dokumenten wies die CS auf die Emittentin und das Emittentenrisiko hin, allerdings nicht sehr prominent.»

Offene Fragen

Die Finma muss deshalb unter anderen folgende Fragen beantworten (die hoffentlich auch von den Medien und der Politik gestellt werden):

  • Wie erklärt die Finma, dass die CS ausgerechnet in jener Zeit, in der andere Banken ihre Lehman-Aktivitäten reduziert oder gar eingestellt haben, forciert Lehman-Papiere verkauft hat?
  • Wusste die CS von den Problemen bei Lehman und «half» der Bank bei den Refinanzierungsversuchen? Hat sie deshalb den Vertrieb von Lehman-Produkten zur Unzeit forciert? Beim Lehman-Papier, das zum Beispiel dem Berner Kleinanleger Hugo Rey gegen seinen Willen ins Depot gelegt wurde, handelt es sich um ein strukturiertes Produkt. Wichtig zu wissen ist bei diesem Papier, dass der Rückzahlungswert zwar von der Entwicklung mehrerer Basiswerte abgeleitet ist, dass die Emittentin (also Lehman) aber nicht verpflichtet war, in die Basiswerte (Aktien usw.) zu investieren. Mit anderen Worten: Es handelt sich beim Papier um eine Schuldverschreibung (Hingabe von Geld gegen Rückzahlungsversprechen). Der Gedanke, dass die US-Investmentbank die beschafften Mittel zur Refinanzierung, also wiederum zur Vergabe von eigenen Krediten, und/oder zum «Stopfen alter Löcher» verwendete, liegt auf der Hand.
  • Wieso verheimlicht die Finma den Umstand, dass die Credit Spreads Lehmans Notlage signalisiert haben? Geht es darum, den offensichtlichen Mehrverkauf von Lehman-Produkten bei der CS unverdächtig aussehen zu lassen?
  • Hat die Finma die Summe der Verluste an CS-Kundengeldern um rund die Hälfte «reduziert», um die mickrigen Rückerstattungssummen der CS besser aussehen zu lassen?
  • Wieso hat die Finma den White Labeling-Vorwurf im öffentlichen Bericht derart abgeschwächt? Gerade dieser Punkt ist für die Chancen eines Kleinanlegers auf Rückerstattung des verlorenen Gelds von entscheidender Bedeutung.
  • Hat die Finma den CS-Bericht als grundlegend wichtig für all die folgenden Rechtshändel zwischen der CS und den geschädigten Kunden betrachtet und deshalb geschönt? Laut Eugen Haltinger (Tagesanzeiger vom vergangenen Montag) war der interne Finma-Bericht wohl zuhanden des Verwaltungsrats bestimmt. Was aussergewöhnlich wäre. Der Finma-Verwaltungsrat beschäftigt sich in der Regel nicht mit Sachgeschäften, sondern wird nur bei grundlegenden Fragen involviert.
  • Wieso hat die Finma ein aufsichtsrechtliches Verfahren bereits Ende 2009 (also sehr schnell) wieder eingestellt, dass sie laut «Sonntag» aufgrund der für den internen Bericht gewonnen Erkenntnisse eingeleitet hatte? Wieso hat sie trotz der Western union agent diffusen Faktenlage einen Bericht veröffentlicht, der einseitig und falsch ist? Klar ist: Wenn die Vorwürfe seitens der Finma an die CS offensichtlich nicht für ein Verfahren gereicht haben, dann konnte dieses Verfahren nicht geführt werden. Aber: Die Finma wäre nicht verpflichtet gewesen, einen Bericht zu veröffentlichen.

Wichtiger Bericht

Wie wichtig der Finma-Bericht ist, hat sich in den diversen Rechtshändeln zwischen Kleinanlegern und der CS gezeigt. Immer wieder wurde von Seiten der CS auf den Finma-Bericht und die darin «bewiesene» Unschuld der CS verwiesen. Hätte die Finma keinen Bericht zum Fall veröffentlicht, wäre es Sache der zuständigen Gerichte gewesen, die Lage von Grund auf zu beurteilen. Insbesondere die Frage der Kreditwürdigkeit von Lehman ist entscheidend: Ist die erkennbare Schieflage von Lehman zur fraglichen Zeit bewiesen, sehen die Rechtsansprüche der geprellten CS-Kunden ganz anders aus, als wenn Lehman tatsächlich (wie die Finma offiziell behauptet) über ein Kreditrating von A2 und damit über eine gute Bonität verfügt hat.

Es braucht jetzt den Druck der Medien und der Politik, damit wenigstens in den noch laufenden Verfahren die neue Faktenlage berücksichtigt wird. Es darf nicht sein, dass sich die CS auf einen Bericht berufen kann, der offensichtlich falsch und parteiisch ist.

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