Roger Köppel: Ein Selbstsüchtiger
steigert die Dosis

Hermann Göring war die Nummer 2 in Adolf Hitlers Reich. Er war für die Errichtung der ersten Konzentrationslager ab 1933 verantwortlich, 1941 erteilte er höchstpersönlich den Auftrag zur Endlösung der Judenfrage. Er war ein Intellektueller, der abscheulichste Verbrechen plante und umsetzte.

Und: Göring zeigte keinerlei Reue. «Wenigstens zwölf Jahre anständig gelebt» soll er 1945 gesagt haben, als ihn die Alliierten verhafteten. Später, im Gefängnis, soll er davon ausgegangen sein, dass die Nachwelt den Nazis Anerkennung zollen werde. Einem US-Psychologen soll Göring gesagt haben: «Ihr werdet unsere Knochen in Marmorsärge betten.» Selbst im Rahmen der Nürnberger Prozesse, als es um sein eigenes Leben ging, zeigte er sich unbelehrbar.

Göring ist eine der zentralen Figuren des 2. Weltkriegs, des notabene bestuntersuchten und -dokumentierten Ereignisses der Geschichte. Seine Rolle steht also nicht zur Debatte – möchte man meinen. SVP-Nationalrat und Weltwoche-Chef Roger Köppel sieht das weniger eng. Er widmet Göring einen Grossteil seines jüngsten Editorials. Herausgekommen ist ein Text, den man nur als schändlichen Revisionismus bezeichnen kann.

Köppel schreibt:

Unter anderem bei einem Buch bleibe ich hängen: Leonard Mosleys über vierzig Jahre alter Biografie von Hermann Göring, dem militärisch hochdekorierten Naziminister und raffenden Kunstsammler unter Hitler (…)

(…)

Beeindruckend an seinem Buch ist der Versuch, auch dieser verfemten Gestalt in der Vielfalt ihrer Eigenschaften gerecht zu werden.

Schon in den ersten Abschnitten des Texts wird man den Eindruck nicht los, dass Köppel im Lauf der Mosley-Lektüre so etwas wie Bewunderung für Göring entwickelt hat. Er schreibt:

Göring war mit ausserordentlichen Frauen verheiratet, seine erste war eine bestens situierte, nach Bildern zu urteilen wunderschöne schwedische Gräfin, die für den damals noch fast mittellosen und wegen einer Verletzung bald morphiumsüchtigen deutschen Ex-Piloten Anfang der zwanziger Jahre ihren angesehenen Ehemann, einen ehemaligen Olympiasieger, verliess. Irgendetwas muss der noch kaum arrivierte, blauäugige Göring gehabt haben.

Dann geht es ans Eingemachte. Der Leser beginnt zu spüren, dass dieser Text kein gutes Ende nehmen wird. Köppel schreibt:

Mosley ist natürlich kritisch, aber man hat den Eindruck, dass er am Beispiel Görings auch irgendwo der Tragik nachspürt, von der die Deutschen, eine der bis dahin zivilisiertesten Nationen Europas, im letzten Jahrhundert befallen wurden.

(…)

Vor den Nürnberger Richtern beteuerte der wieder abgemagerte und laut Mosley brillant gegen seine Ankläger argumentierende Ex-Marschall, er habe immer versucht, im besten Interesse Deutschlands zu handeln. Von den Verbrechen seines Regimes wollte er nichts gewusst haben. Görings Schuld, bilanziert Mosley, sei seine moralische Feigheit gewesen, die den intelligenten und einst bewunderten Mann daran gehindert habe, gegen Hitler aufzustehen.

Zu Leonard Mosley findet sich leider wenig im Web. Ich kann deshalb nicht beurteilen, was ihn zu solch falschen, hundertfach widerlegten Aussagen verleitete. Wie auch immer, Köppel glaubt ihm aufs Wort:

Die für mich erstaunlichste Erkenntnis ist die Vermutung, dass der Zweite Weltkrieg von Hitlers Clique gar nicht bewusst begonnen, sondern gleichsam hasardierend und planlos in Kauf genommen wurde. Nicht nur die Deutschen waren einem Blender auf den Leim gekrochen. Man darf den Faktor Unfähigkeit in der Politik nie unterschätzen.

Köppel zieht allen Ernstes in Betracht, dass das Anzetteln eines Weltkriegs, der durchorchestrierte, grausame Mord an mehr als sechs Millionen Juden auf Planlosigkeit und Unfähigkeit zurückzuführen sein könnte …

Klar, auch im Fall von Köppel darf man den Faktor Unfähigkeit nie unterschätzen. Aber dieser Text zeugt nicht von Unfähigkeit, er ist bewusste Provokation. Denn der Weltwoche-Chef reiht eine unsägliche Aussage an die andere:

Göring war weder Monster noch Teufel. Sein Trauma war der Absturz Deutschlands nach dem Weltkrieg 1918. Wie Millionen andere glaubte er in Hitler den genialen Wieder­errichter deutscher Grösse, den Beseitiger politischen Unrechts zu erblicken. Zweifellos hatte Göring Qualitäten, wie auch seine Gegner nach dem Krieg bestätigten. Trotzdem stand er an der Spitze eines kriminellen Staats, der Leichenberge, ein verwüstetes Deutschland und einen zerbombten Kontinent hinterliess.

Wenn Göring kein Monster, kein Teufel war, wer dann? Und ja, Göring hatte zweifellos Qualitäten. Qualitäten, die Europa in Schutt und Asche legten und den Holocaust ermöglichten.

Wie ist so etwas möglich? Der Mensch bleibt sich selbst das grösste Rätsel, und niemand kann sicher sein, dass nicht auch er mit den vermeintlich besten Absichten in der grössten Katastrophe endet. Bescheidenheit bleibt das ewige Gebot der Stunde.

Im Klartext: Der SVP-Mann suggeriert, dass Weltkrieg, Konzentrationslager und Endlösung aus «vermeintlich besten Absichten» einfach so passiert sein könnten. Schlicht unfassbar!

Roger Köppel ist nicht bescheiden, und er hat dieses Editorial nicht mit besten Absichten geschrieben. Köppel ist einer, der schon immer gerne provoziert hat, der krankhaft nach Aufmerksamkeit strebt. Spätestens seit seiner triumphalen Wahl in den Nationalrat sehen wir einen Mann, der den Boden unter den Füssen verloren hat. Einen Mann, der glaubt, mit allem durchzukommen. Köppel geht mit seinen Provokationen Woche für Woche einen Schritt weiter, einem Junkie gleich, der immer stärkeren Stoff braucht.

Eigentlich sollte man einem Selbstsüchtigen wie Köppel seine Droge – die Aufmerksamkeit – entziehen. Ich weiss, ich tue mit diesem Text das Gegenteil. Widerrede ist angebracht, weil Köppel mit seinem Göring-Editorial die Linie dessen, was man als dummen Ausrutscher eines notorischen Provokateurs durchgehen lassen kann, überschritten hat; Widerrede ist angebracht, weil Köppel nicht nur Journalist ist, sondern auch Nationalrat; Widerrede ist angebracht, weil Köppel die stärkste Partei des Landes, die ohne ihn schon rechtsextreme Tendenzen zeigt, noch weiter nach rechts treibt.

PS: Im zweiten Teil seines Editorials wirbt Köppel für die Durchsetzungsinitiative. Will heissen: Im gleichen Text, in dem er «Verständnis» für einen der grössten Verbrecher der Geschichte zeigt, fordert Köppel den gnadenlosen Landesverweis bei Bagatelldelikten. Er scheint jedes Mass verloren zu haben.

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