Patrik Müllers kleinbürgerliche Welt

Es soll hier nicht darum gehen, ob Geri Müller in jedem Punkt glaubwürdig ist. Das tut nur dann etwas zur Sache, wenn er relevante Aspekte falsch darstellt oder verschweigt. Heute, nach dem SRF-Club, kann man ihm offenbar nichts dergleichen nachweisen.

Es soll hier auch nicht darum gehen, ob die Geschichte der «Geliebten» glaubhaft ist. Auch das ist nur wesentlich, wenn es um Nötigung und Amtsmissbrauch geht. Ob es eine körperliche Beziehung gegeben hat, wie weit diese gegangen ist, wer wem wie viele Bilder geschickt hat und was darauf zu sehen ist, interessiert niemanden, solange alle Handlungen einvernehmlich stattgefunden haben.

Es soll hier um das Verhalten von «Schweiz am Sonntag»-Chefredaktor Patrik Müller gehen. Er hat das Material zugespielt erhalten, er hat die Story unter seinem Namen publiziert und als Chefredaktor ohnehin zu verantworten. Und: Patrik Müller hat gestern im SRF-Club einen schwachen Eindruck hinterlassen. Das habe nicht nur ich so gesehen. Wer sich ein Bild der Reaktionen machen will, der möge einen Blick auf Twitter werfen.

Patrik Müller hat, auf Basis der Diskussionen im Club und der bis jetzt publizierten Artikel, in zwei Punkten journalistische Grundsätze grob missachtet:

  • Er hat die Vorfälle in jener Nacht, in der es in Baden zum Polizeieinsatz kam, in seinem Artikel zwar sowohl aus Sicht von Geri Müller als auch aus Sicht der Frau dargestellt. Er hat aber, wider besseren Wissens, eindeutig Stellung bezogen und Geri Müller Amtsmissbrauch vorgeworfen. Eine Position, die sich offensichtlich nicht halten lässt.
  • Er hat zwar mit Geri Müller in der Woche vor der Publikation gesprochen und ihm die Möglichkeit gegeben, sich zu äussern. Aber: Er hat Geri Müller versichert, dass der Artikel (noch) nicht erscheinen würde. Als entschieden wurde, doch zu publizieren, war Geri Müller für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Patrik Müller hinterliess ihm am Samstag Nachrichten auf der Combox, erhielt keinen Rückruf – und publizierte trotzdem. Ein Vorgehen, das in einem so heiklen Fall schlicht unentschuldbar ist. Politikberater Mark Balsiger schrieb auf Twitter:

    Erkenntnis aus #club: Geri Müller konnte sich vor SchwamS-Schlüsselloch-Story nicht äussern. Journ. Ethik vor die Hunde gegangen.

    Deutliche Worte! Patrik Müller hat zwar heute auf Twitter festgehalten, er habe Geri Müller doch informiert. Diese sehr späte Anpassung eines zentralen Punkts, die nur zu finden ist, wenn man Twitter-Diskussionen folgt, scheint mir aber – sorry – wenig glaubhaft.

Wer Patrik Müllers Auftritt im Club gesehen hat, stellt fest: Dem Mann geht es weniger um möglichen Amtsmissbrauch oder mögliche Nötigung. Patrik Müller stört sich vor allem daran, dass der vom Volk gewählte, gut verdienende Geri Müller während der Arbeitszeit aus seinen Arbeitsräumen schlüpfrige Bilder verschickt hat. Er spricht immer wieder von Vorbildfunktion, reitet auf Moralfragen herum. Das ist notabene der einzige Punkt, der nach Prüfung der Fakten bezüglich «Relevanz für die Öffentlichkeit» übrig geblieben ist.

Rainer Stadler schrieb gestern Nachmittag in der NZZ:

Schlimm auch: Ein Politiker und Stadtammann verschickt offenbar Sex-Bilder während der Arbeitszeit. Jahreslohn: 260000 Franken, schreibt die «Schweiz am Sonntag». Sub-Botschaft: Viel Lohn, wenig Leistung.

Das Problem ist bloss: Wer einen qualifizierten Job hat, bei dem verfliessen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Wer hat nicht schon während der Arbeit Privates erledigt, aber auch in der Freizeit Aufgaben im Dienste des Brotgebers ausgeführt? Eben.

Sogar Weltwoche-Chef Roger Köppel findet starke Worte pro Geri Müller:

Es gibt eigentlich keinen Rechtfertigungsgrund, die privaten Nachrichten Müllers an die Öffentlichkeit zu zerren. Dass er Bilder aus dem Bundeshaus oder aus seinem Badener Präsidentenbüro versendete, ist ein schwacher Aufhänger. Läge hier der Skandal, müsste man den Bundesparlamentariern in Bern verbieten, während der Session die Sportseiten der Zeitungen zu lesen oder das Kinoprogramm. Wer bei staatlich besoldeten Politikern auf eine ­talibanstrikte Trennung von Beruf und Privatleben pocht, moralisiert am Leben vorbei.

Das sieht auch Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der ZHAW in Winterthur, so. Er twitterte während der Club-Diskussion:

«In amtlichen Räumen zu Arbeitszeiten» Mag das nicht mehr hören. Sorry, ich lebe nicht in dieser kleinen ArbeitsRaumZeitenWelt.

Genau da dürfte ein Teil des Problems liegen: in Patrik Müllers kleinbürgerlicher Welt. Ich will hier nicht allzu persönlich werden, aber Patrik Müller hat meist wenig Substanzielles zu bieten. Wenn er seine Meinung kundtut, steht häufig allzu Biederes, allzu Naives im Blatt (1, 2, 3). Wer nichts zu sagen hat, muss auf anderen Wegen für Aufmerksamkeit sorgen. Wie zum Beispiel mit der hanebüchenen Aktion rund um das «verbotene» Zitat des deutschen Fussball-Nationaltrainers Joachim Löw. Oder eben mittels schlüpfriger Geschichten.

Umso besser, wenn es einen politischen Gegner trifft. Denn das dürfte ein weiteres Motiv dafür gewesen sein, die Geschichte so aggressiv zu fahren. Patrik Müller arbeitet für einen FDP-nahen Verlag und ist politisch am rechten Rand der FDP anzusiedeln. FDP, CVP und SVP haben den Angriff auf den linken Stadtammann denn auch prompt genutzt und wenige Stunden nach Veröffentlichung des Artikels den Rücktritt Geri Müllers gefordert – natürlich ohne die Fakten zu prüfen oder Geri Müller anzuhören.

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